Alles über meinen Unfall 2005. Ich habe es schon oft erzählt und mit Sicherheit schon einiges vergessen. Eigentlich hatte ich alles vergessen, aber einiges kam ja wieder.
Olav baute gerade seinen Reihenhaus. Genau genommen ließ er bauen und überwachte nur. An einem Wochenende waren zu Kaffee und Kuchen bei Olav in der Hauptstrasse. Hier endete meine Erinnerung für lange Zeit. Das nächste an das ich mich erinnerte war das Aufwachen im Krankenhaus. Wobei mir sofort ungefähr klar war, was passiert ist. Mittlerweile weiß ich ein paar Sachen mehr, die zwischendurch passiert sind. Zum Großteil aus Erzählungen, aber auch eigene Erinnerungen sind dazugekommen.
Nach dem Kaffee sind wir zur Baustelle gelaufen. Die Kellermauern waren gerade gemauert. Wir liefen auf den Mauern herum und schauten uns die Baustelle an. Eine der Zwischenwände war aber noch so frisch, dass sie mich nicht aushielt. Sie krachte zusammen. Ich fiel (wohl kopfüber) 3m hinunter auf den Beton. Dabei muss ich irgendwo entlang geschrammt sein und so die Kopfhaut aufgeschlitzt haben.
Die Wunde fing stark an zu bluten. Aus eigener Kraft kletterte ich noch aus der Grube. Olav, Tini und Conny waren aufgeregt. „Wir brauchen einen Krankenwagen“. Doch keiner dachte an sein Handy. Die nächstgelegenen Nachbarn waren zum Glück zu Hause. Sie riefen den Notruf. Mittlerweile brachten sie mich zur Straße. Meine beiden Nichten Viola und Mimi waren sehr aufgeregt. Tini versuchte sie gut wie möglich von meinem Anblick ab zu schirmen. Sie hatten zusätzlich Angst, dass ihr Papa Schwierigkeiten bekommt wegen meinem Unfall. Schliesslich ist das Betreten der Baustelle ja verboten.
Der Sanitäter kam und untersuchte mich. Ob ich Alkohol getrunken hätte. Ich würde so riechen. Aber das müssen wohl die Stress-Hormone gewesen sein. Mit dem Krankenwagen ging es nach Hofheim. Es war wohl eine wilde Fahrt und ein einschneidendes Erlebnis für Conny. Sie sass vorne, damit ihr nicht schlecht wird.
Im Krankenhaus hatte ich ein Riesenglück. Zwei plastische Chirurginnen hatten Dienst. Sie nahmen sich die notwendige Zeit zum Reinigen der Wunde und dem sauberen Vernähen. Die Wunde war lang, sehr lang.
Wie lang merke ich zwei Wochen später. Ein paar Tage nach der Entlassung war ich zum Fäden ziehen im Krankenhaus. Nach langer Wartezeit kam ich dran. Da ich auf der Station Handchirugie lag, gab es imme rien lustiges Bild. Alle hatten Arm oder Hand im Verband, nur ich hatte einen Kopfverband. Doch kaum waren wir zu Hause, entdeckten wir noch mehr Pfäden. Also los zum Hausarzt. Aber auch der brauchte zwei Anläufe, bis alle Pfäden entfernt waren.
Aber erstmal musste ich das Geschehene verarbeiten. Ich wurde irgendwann morgens wach. Meine erste Frage war nach meinen Nichten: Haben sie was gesehen, haben sie es verkraftet. Das konnte die Schwester natürlich nicht beantworten. Also hatte ich Zeit über mich nachzudenken. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie arg ich entstellt bin. Dass es gut für mich ausgehen würde, habe ich selbst in besten Vorstellungen nicht gedacht. Also hatte ich viel Zeit mir Sorgen zu machen.
Irgendwann kam dann auch Conny, die bei Olav und Tini übernachtet hat und ziemlich durch den Wind war. Aber es war ja nicht so schlimm wie befürchtet und wurde Tag für Tag besser. Aber nicht nur meine Narbe machte Probleme. Auch die Gehirnerschütterung war richtig heftig. Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme und Empfindlichkeit auf Helligkeit waren die ersten Anzeichen. Aber es sollte langwierig und schwierig werden. Die nächsten Wochen war z.B. Autofahren eine Tortur. Es war einfach alles viel schneller als ich verkraften konnte. Viel Schlafen, Ausruhen und Schonung war angesagt. Aber nicht nur für ein paar Tage, sondern das hielt sich tatsächlich ein paar Monate. Als die Narbe schon so weit verheilt war, dass ich wieder einen Helm aufziehen konnte (ich wollte ja nicht die ganze Saison verpassen) war der Kopf eigentlich nicht so weit. Im zweiten Training riß ich mir die Sehne im Finger. Nochmal vier Wochen Pause. Und das war auch gut so. Als ob der Kopf dem Finger gesagt hätte: „Geh kaputt. Ich bin noch nicht so weit.“
Die ersten Problem im Kopf waren schnell deutlich. Ich konnte mich an den Nachmittag nicht erinnern. Auch heute ist es mehr eine Mischung aus Erzählung und schattenhaften Erinnerungen.
Aber wirklich erschreckt haben mich andere Folgen. Ein paar Wochen später (ich fühlte mich wieder fit) fragte mich jemand nach unseren Bundeskanzler. Ich halte mich für einen politisch halbwegs gebildeteen Bürger, so dass die Frage eigentlich einfach sein sollte. Ich hatte ein Bild im Kopf, ich wusste die Partei, ich wusste sein Wirken, aber ich wusste seinen Namen nicht. Nur den Anfangsbuchstaben. Aber trotz langem Nachdenken kam ich nicht auf den Namen. Gerhardt Schröder. Ich googelte und sagte: „Na klar!“ Aber als ich vier Wochen später das Gelernte überprüfen wollte, war der Name wieder weg. Ich lernte ihn nochmal, diesmal richtig und intensiv und heute weiß ich ihn wieder. Aber der Gehirnbereich, in dem der Name vorher gespeichert war, ist wohl verloren.
So richtig habe ich von dieser Gehirnerschütterung niemehr erholt. In der Leistungsfähigkeit gab es einen Knick. Früher habe ich bis spät in der Nacht zuhause Verbandsarbeit gemacht. Nachdem Unfall war schon früher Schluss. Es ging abends nichts mehr, wenn ich tagsüber gearbeitet habe. Am Ende des Tages reichte die Konzentrationsfähigkeit nicht aus. Mit dem Alter sinkt die Leistungsfähigkeit eh. Aber bei mir passierte das auf einen Schlag. Es blieb etwas übrig vom Unfall.
Deshalb habe ich mich auch an die Versicherungen gewendet. Ein Test in der Uni-Klinik absolvierte ich und ein Gutachten wurde erstellt. Es gab Hinweise, aber keine Beweise, nicht zuletzt weil es keinen Vergleichstest vor dem Unfall kam. Der Test war nicht schlecht, teilweise mit sehr guten Leistungen, aber auch katastrophale Werte wie im Wortfindungsprozess. Zähle Worte mit „K“ auf. Das war so wie die Frage nach unserem Bundeskanzler. Das Gehirn hatte keine Antwort parat. Das griff das Gutachten auch auf. Trotzdem wollte die Versicherung erstmal nicht zahlen. Erst weitere Gespräche, Einsprüche und Briefe waren notwendig.
Am Ende gewährte mir die Versicherung eine Schädigung von 10%. Das Geld kann zwar nicht wirklich die Schäden beheben, aber es erleichtert das eine oder andere im Leben.